Eigenartigerweise wird kaum beachtet, wie sich „Depressionen“ von Stunde zu Stunde bzw. von Tag
zu Tag entwickeln. Dies liegt vermutlich an der gängigen
Forschungspraxis, die depressive Symptome meist nur in größeren
Abständen erhebt. „Fluktuationen“ (Schwankungen) werden so überstehen. Stattdessen wird ein relativ stabiles Bild von „Depressionen“ gezeichnet
(gleichsam als existierten Depressionen nur nach dem
Alles-oder-nichts-Prinzip, demzufolge man entweder depressiv oder eben
nicht depressiv ist). Lediglich im Konzept des „morgendlichen Tiefs“
Depressiver deutet sich an, dass sich „Depressionen“ eher dynamisch als
statisch „verhalten“ und sich in ihrem Schweregrad variabel über ein
bestimmtes „Spektrum“ entwickeln können. Viel zu selten wird beachtet,
dass auch Depressive meist mehr oder weniger gesunde „Fenster“ haben, in
denen sie ansprechbar sind.
In der Medizin tendiert man dazu, „Depression“
grundsätzlich als „Krankheit“ zu betrachten. Dabei bemühen sich
die Spezialisten, mehrere Untertypen zu beschreiben (früher „reaktive
Depression“, „endogene Depression“, heute „subklinische Depression“, „Dysthymie“,
„Minor Depression“, „Major Depression“). Die Möglichkeit, dass
Depressionen auch der Gesunderhaltung dienen können, wird dagegen kaum
erwogen.
Wann eine Depression als geheilt
gilt, wird oft vom Unterschreiten eines bestimmten Scores (= Summe von
Testpunkten) abhängig gemacht. „Cut-off-Scores“ (= Grenze zwischen
"gesund" und "krank") mögen zwar statistische
Berechnungen erleichtern, sie suggerieren aber zu unrecht, dass sich die
Problematik von Depressionen allein durch das Unterschreiten eines
bestimmten Punktwertes schlagartig ändert. Schnell ist vergessen, dass es
sich bei solchen Betrachtungsweisen um menschliche Konstrukte
(Definitionen, Festlegungen) handelt, denen immer Willkür anhaftet.
Die heutige Depressionsforschung geht davon
aus, dass vor allem Vorgänge im Gehirn für die Auslösung einer Depression
verantwortlich zeichnen. Alle "Antidepressiva" müssen sich deshalb auch
der Frage stellen, welche Prozesse sie im Gehirn beeinflussen. Die
übermäßige Fixierung auf Vorgänge im Gehirn verleitet jedoch dazu,
Beiträge des übrigen Körpers zum depressiven Geschehen zu übersehen.
Ausdauersport, der nachweislich antidepressiv wirkt, lässt sich
beispielsweise als Beleg dafür anführen, dass auch extrazerebrale Abläufe
wesentlich zur Auslösung und Aufrechterhaltung von Depressionen
beizutragen scheinen. |