Warum Depression eine
Erfindung ist
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„Depression“ ist ein Begriff, der menschliches
Verhalten und Erleben beschreibt, das unabhängig von Alter und Geschlecht
weltweit auftritt. Uneinigkeit besteht über die genaue Definition.
Prinzipiell handelt es sich um ein Sammelsurium unterschiedlicher Symptome
(die mehr oder minder schwer jeder Mensch kennt), wie Müdigkeit,
Antriebslosigkeit, Interessenverlust, Lebensunlust, Appetitlosigkeit,
Neigung zu Selbstvorwürfen und Selbstabwertung, Gefühle von Einsamkeit,
Wertlosigkeit, Schuld, Unterlegenheit, verlangsamtes Denken,
Konzentrations- und Schlafstörungen, Gedanken an Sterben und Tod. Diese
mehr oder weniger willkürliche Zusammenstellung favorisiert möglicherweise
stärker „weibliche“ Phänomene (da Frauen vielleicht – kulturell? – mehr
auf Flucht und Passivität, Männer dagegen mehr auf Aktivität und Angriff
gedrillt/geprägt sind). Man muss sich dann nicht länger darüber wundern,
dass mehr Frauen als Männer als „depressiv“ eingestuft werden. Würde man
zusätzlich „Störungen“ der Sexualfunktion, über die vermehrt Männer
klagen, in den Symptomkatalog der Depression aufnehmen, würde sich dadurch
vielleicht das Geschlechterverhältnis verschieben. Heute wird vieles als
„Depression“ benannt, was vor nicht allzu langer Zeit eher unter „Stress“
firmierte. Auch andere umgangssprachlich weiterhin gebrauchte Begriffe
(„wie Nervenzusammenbruch“) lassen sich relativ leicht dem
Depressionsbegriff unterordnen. „Depressions-Spezialisten“ leiden unter
einer gewissen „Unterscheidungsmanie“, die im Übermaß Zusammengehöriges
trennt (z.B. Depression und „Begleiterkrankung“, Erkrankung und
„Begleitdepression“ = „Komorbiditäten“, Angst und Depression). Viele
„Depressionsbegriffe“ kommen und gehen (So sprach man früher von
„neurotischer Depression“, „maskierter Depression“, „Involutionsdepression“,
dagegen wird heute z.B. mit „Sissi-Syndrom“ eine neu herausgearbeitete Form
der Depression bezeichnet). Neu etablierte Begriffe profitieren wie alle
Begriffe von der Suggestion, dass es das vom Begriff Benannte auch
wirklich gibt. Letztlich sind Begriffe aber nur Instrumente, um das Chaos
dieser Welt in eine für Menschen hilfreiche „Ordnung“ zu bringen und so
unsere Ohnmacht zu verringern bzw. eine Illusion von Kontrollierbarkeit zu
erzeugen. |
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